Kolbrücks Kracher: Ungeliebte Zeitdiebe
Kolbrücks Kracher

Ungeliebte Zeitdiebe

IMAGO / agefotostock

Was es im Supermarkt nicht gibt? Langeweile. Umso kritischer muss man auf technische Errungenschaften schauen, die jede Menge Zeit (und Fläche) fressen können. Hier sind einige Verdächtige.

Plötzlich ploppten sie überall auf: Einkaufswagenreiniger. Ein gut gedachter Hygieneschutz in Corona-Zeiten. Kunden schieben den Einkaufswagen in das Desinfektionsgerät, drücken nur einen Knopf. Der Wagen wird desinfiziert. Nach  dem Knopfdruck desinfizieren sich die Kunden die Hände.
Zwar gab es durchaus vereinzelt Kaufleute, die in der Startphase berichteten, Marktbesucher würden das einfache Prinzip gut annehmen, doch nach den ersten Waschstraßenrunden konnten die Geräte vor allem eines: Platz wegnehmen.
Genutzt wird die Option in manchen Märkten indes mittlerweile so selten, dass man schnell im Verdacht steht, ein hypochondrischer Paranoiker zu sein, wenn man seinen Wagen in das Gerät schiebt.
Das mangelnde Interesse reduziert immerhin die Wartungsintensität, wenn ein handelsüblicher Waschtank nach einigen tausend Einkaufswagen wieder gefüllt werden musste.

Einkaufswagen-Desinfektion

Das ist auch ganz gut so. Wenn man sich schon über streikende oder widerwillige Automaten ärgert, dann bitte über den Leergutautomaten. Da kommt man dann wenigstens mit den Kunden ins Gespräch und lernt Flaschen kennen (also Getränke), die man noch nie gesehen hat.

Zu den beliebten Gimmicks im Markt gehört auch die Orangensaft-Presse in der Obst- und Gemüseabteilung. In ihrem fröhlichen gelb-orange verspricht sie dem Markt Marge und dem Kunden Vitamin C.
Was man Mitarbeitern manchmal als Zweitplatzierung dazu wünscht: Baldrian. Man hört von Mitarbeitern, die lieber in der Schnibbelküche Zwiebeln schneiden, als die Presse zu reinigen. Weniger Tränen. Immerhin sieht die Orangensaft-Presse auch bei einem Defekt noch gut aus. Die Kunden stört das weniger. Wozu gibt es schließlich Smoothie?
Dabei ist die Orangensaft-Presse, die seit Dekaden immer wieder einmal ein Revival erlebt, gerade ebenso im Trend wie Abfüllstationen für Duschgel, Waschmittel und Co.

Saftpresse Reinigung


Hier kaufen Kunden einmalig einen Behälter, der wiederverwendbar und auf die jeweiligen Produkte abgestimmt ist. Je nach Gerät kann nach dem Scannen eines Strichcodes oder einer Farbwahl an der Abfüllstation das gewünschte Produkt abgefüllt werden. Danach kann der Kunde das Produkt mit seinem restlichen Einkauf an der Kasse bezahlen.

Alles nur Staubfänger?

Die Vorteile liegen auf der Hand: Umwelt, Nachhaltigkeit, weniger Plastik, gutes Gewissen.
Die Nachteile aber auch: Sauber machen, reinigen, nachfüllen, Defekt suchen, Kunden beraten, die unbedingt ihre eigene mundgeblasene Flasche benutzen wollen.

Refill bei Rossmann


Immerhin treffen die Abfüllstationen womöglich einen Nerv umweltbewusster Kunden und werden landauf, landab vor allem in Drogeriemärkten und Bio-Läden installiert.

Von den Mitgliedern des POS-Profi-Clubs, dem Befragungspanel der Lebensmittel Zeitung direkt, wissen wir aber, dass zumindest die Begeisterung der Kaufleute nicht überschäumt.
Gerade einmal 15 Prozent glauben, dass sich das Konzept zumindest teilweise durchsetzen wird. Etwa jedes dritte Mitglied im POS-Profi-Club findet, es sei für die eigenen Kunden viel zu aufwendig.

Gimmicks haben (auch defekt) Strahlkraft

Trotzdem sollte man diese und andere Zeitfresser und Platzdiebe nicht gleich als museumsreife Ausstellungstücke aburteilen.
Auch wenn die Wartung lästig, der Umsatz womöglich homöopathisch überschaubar ist, erfüllen sie doch einen Zweck, der sich nur indirekt in der Kasse zeigt.

Der Einkaufswagenreiniger kann noch stehen bleiben, weil er das Interesse an Hygiene zeigt und die Sorge um die Gesundheit demonstriert. Die Orangensaftpresse ist eine Visitenkarte für die eigene Frischekompetenz. Die Abfüllstation zeigt, dass man für die Umwelt nichts unversucht lässt.
Zusammen stehen sie dafür, dass man Markt und Sortiment nicht nur mit Blick auf die Gewinnoptimierung gestaltet, sondern auch Mehrwert und Haltung bietet. Auch darauf, und nicht nur auf den Preis, schauen Kunden. So etwas schafft nämlich Vertrauen. Und wem man vertraut, dem vertraut man mehr Geld an.

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