Gastbeitrag: Wie man besser durch den Shitsto...
Gastbeitrag

Wie man besser durch den Shitstorm kommt

IMAGO / Panthermedia

Ein Shitstorm in den sozialen Medien kann jederzeit auch über einen Händler hereinbrechen. Doch was sollte man tun? Der Kommunikationsexperte Christian Wolfram von der Unternehmensberatung Engel & Zimmermann klärt in einem Gastbeitrag auf.

Ein Fall aus unserem Kundenkreis im Corona-Sommer: Ein Unternehmen aus der Lebensmittelbranche hatte auf seinen Social-Media-Kanälen einen Beitrag gepostet, in dem es sich humorvoll, aber unmissverständlich gegen die Querdenker-Szene positionierte.

Der Beitrag kam gut an: Die meisten Leser fanden ihn wahlweise frech, couragiert, ermutigend oder lustig. Andere wiederum nahmen Anstoß daran, dass sich das Unternehmen in die Corona-Diskussion und damit mehr oder weniger direkt in ein höchst politisches Thema eingeschaltet hatte.

Die Folge: Während es auf der einen Seite Lob für die „klare Kante“ gab („Jetzt schmeckt mir euer Produkt noch besser!“), prasselte gleichzeitig eine Lawine kritischer Kommentare auf das Unternehmen ein („Jetzt kaufe ich euer Produkt nie wieder!“). Der Fall zeigt eine ganze Reihe von Erkenntnissen, die wir über die Krisenkommunikation in den sozialen Medien lernen können.

1. Eine Krise kann aus einer Unachtsamkeit entstehen

Viele Unternehmen unterschätzen bzw. missverstehen die Ursachen und Dynamiken von Shitstorms auch deshalb, weil diese nicht zwingend durch konkrete Mängel ausgelöst werden. Nur in den seltensten Fällen ist es ein Produktmangel, der für Empörung sorgt.
Über den Autor
Christian Wolfram berät seit 15 Jahren Unternehmen aus der Lebensmittelbranche in allen Fragen der internen und externen Kommunikation. Der frühere Journalist gehört bei Engel & Zimmermann dem Leitungsteam der Unit Food an. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen hier die Beratung im Krisenfall ebenso wie die strategische Beratung bei der Unternehmenskommunikation. Besonderes Augenmerk liegt auf der Ansprache der unterschiedlichen Zielgruppen wie dem Handel, Verbrauchern, NGOs, der Politik und Medien.
wolfram
EngelundZimmermann
Als inhabergeführte Unternehmensberatung für Kommunikation berät und betreut Engel & Zimmermann dauerhaft rund 60 Kunden. Ein Schwerpunkt liegt auf der Beratung von Unternehmen aus der Lebensmittelbranche.
Die meisten Shitstorms werden durch etwas viel Banaleres ausgelöst: eine unbedachte Wortwahl. Nivea etwa musste nach heftiger Kritik eine Kampagne in den USA zurückziehen. „White is Purity“, plakatierte das Unternehmen und zeigte sich doch überrascht, als der Vorwurf rassistischer Werbung nicht lange auf sich warten ließ. 

Das Gefährliche bei Social-Media-Krisen: Nicht selten folgt die nächste Stufe der Eskalationsspirale und die klassischen Medien springen ebenfalls auf den Zug auf. Der Eklat breitet sich aus und erreicht damit auch diejenigen, die in den sozialen Netzwerken gar nicht zu Hause sind. Wenige Stunden können reichen, um einen langfristigen Reputationsschaden zu bewirken.
Ist es also mit etwas mehr Empathie getan?
Nur bedingt.

Aber eine vorausschauende Kommunikation stellt sich genau die Fragen, die am Ende entscheidend sein können: Verletzen meine Werbung oder mein Social-Media-Beitrag die Gefühle einer Minderheit?

Thematisiere ich ungewollt ein Thema, das politischen oder gesellschaftlichen Sprengstoff bietet? Gibt es noch andere Fettnäpfchen, in die ich treten könnte? Wenn ein Unternehmen grundsätzlich das kommunikative Risiko eher meidet, würde ich im Zweifelsfall immer raten, auf Nummer sicher zu gehen und von einer solchen Äußerung mit ungewissem Ausgang Abstand zu nehmen.

2. Ein Unternehmen sollte eine Haltung haben – muss sie aber auch aushalten

Es muss aber gar nicht unbedingt eine Unachtsamkeit sein, die zu einem Shitstorm führt. Möglicherweise entscheidet ein Unternehmen auch ganz bewusst, sich zu einem Thema klar zu positionieren. Fritz Kola beispielsweise stellt sich schon seit Jahren deutlich gegen Rechtsextremismus und kommuniziert dies auch über seine Werbung.
Ich meine: Ein Unternehmen sollte zu gesellschaftlich relevanten Themen eine Haltung haben. Wie aktiv es diese nach außen kommuniziert, lässt sich nicht pauschal beantworten.

Wichtig ist jedoch, dass Unternehmen auch zu ihrer Haltung stehen, wenn ihnen Gegenwind entgegenweht. Nichts ist schädlicher für die Glaubwürdigkeit, als einen verbalen Rückzieher zu machen und vor kritischen Stimmen einzuknicken.
Denn spätestens dann ist der Unmut der anderen Seite vorprogrammiert, die das Unternehmen zuvor noch für seine klare Haltung gelobt haben.
"Unternehmen sollten auch bei Gegenwind zu ihrer Haltung stehen."
Christian Wolfram

3. Kritiker mobilisieren sich sehr professionell und verschaffen sich teils mit technischen Hilfsmitteln Gehör

Zurück zum Beispiel meines Kunden und dem Querdenker-Post: Auch wenn vermutlich der Anteil der Querdenker und Gegner der Corona-Politik an der Gesamtbevölkerung eher gering ist, hielten sich die positiven und negativen Kommentare bei Facebook und Instagram in etwa die Waage.

Doch wie kann es sein, dass das Verhältnis der Fürsprecher und Gegner derart verzerrt war?
Es ist ein bekanntes Phänomen, dass sich kritische Stimmen viel stärker mobilisieren als die berühmte schweigende Mehrheit. Wir wissen mittlerweile, dass in einschlägigen Foren der Szene aktiv dazu aufgerufen wurde, sich auf den Seiten des Unternehmens lautstark zu empören. 

Mein Kunde diente also letzten Endes nur als Mittel zum Zweck, als Plattform, auf dem sich die Gegner der Corona-Politik versammelten und ihren Unmut äußerten. Um das Unternehmen oder seine Produkte ging es ihnen nicht.

Das Gute: So schnell sie gekommen sind, waren sie auch schon wieder verschwunden. Gleiches gilt freilich auch für die Bots, die sich ebenfalls unter den kritischen Kommentaren wiederfanden und die Zahl der Kritiker künstlich in die Höhe schnellen ließen.

4. Krisenkommunikation bei Shitstorms will gut durchdacht sein

Was raten wir Unternehmen in solchen Fällen?
Zunächst: Die scheinbar abgedroschene Phrase, dass keine Krise wie die andere ist, hat durchaus ihre Berechtigung.
Wir haben schon Situationen begleitet, in denen ein deeskalierender Post wichtig war, um die Situation zu entschärfen.
In anderen Fällen – so auch bei meinem Kunden mit dem Querdenker-Post – empfiehlt es sich, die Füße still zu halten und den Sturm über sich hinwegziehen zu lassen. Wir haben uns hier bewusst entschieden, ungeachtet unserer klaren Haltung zum Thema Querdenker nicht noch einmal nachzulegen, um nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen.
Anders bei der internen Kommunikation, die zu Unrecht häufig vernachlässigt wird: Gegenüber den Mitarbeitenden war es wichtig, die Verhältnisse klarzustellen und die Angst vor einem möglichen wirtschaftlichen Schaden zu nehmen.

5. In der Krise darf der Überblick nicht verloren gehen

In unserem Fall hatten wir innerhalb weniger Tage eine hohe vierstellige Zahl an Kommentaren auf Instagram und Facebook. Diese zu lesen und bewerten, erfordert Ressourcen. Doch für die Beurteilung einer Krise und damit die Krisenkommunikation ist ein funktionierendes Monitoring unabdingbar: Nur wenn ich die Entwicklung der Kommentare im Blick habe, kann ich die richtigen Kommunikationsmaßnahmen ergreifen.

Ebenso wichtig ist es zu wissen, ob sich die Krise möglicherweise auf andere Kanäle oder Medien verlagert. Dann sind unter Umständen zusätzliche Maßnahmen vonnöten.

LZdirekt.de veröffentlicht in loser Folge Gastbeiträge von Branchenexperten zu Themen rund um den POS und den Lebensmittelhandel.
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