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Gastbeitrag

Shitstorm: Schuld sind nicht immer die anderen

Ingo Bartussek/shutterstock

Shitstorm heißt immer auch Krise. Doch häufig lässt sich der Gegenwind schon im Vorfeld abwettern, wenn Händler hausgemachte Fehler vermeiden, erklärt Kommunikationsexperte Christian Wolfram von der Unternehmensberatung Engel & Zimmermann in einem Gastbeitrag.

Das Bild weckt Erinnerungen an meine Kindheit, als wir in Spanien Urlaub gemacht haben: Beim Betreten des Restaurants habe ich immer die großen Hummer im Aquarium bestaunt, die – dicht gedrängt und mit zugebundenen Scheren – im Wasser darauf warteten, ihren finalen Gang in den Kochtopf anzutreten.

Ganz ähnlich sah es in einem Supermarkt in der Nähe von Augsburg aus, wo sich die Kunden ihren Fisch frisch aus dem Wasser fischen und zubereiten lassen können. Als „echten Blickfang und Highlight“ beschrieb der Händler sein 4.000-Liter-Aquarium. „Qualvolle Tötung“ mit „Stress, Angst und Atemnot“ hingegen nannte es die Tierrechtsorganisation PeTA.

Und damit sind wir schon mittendrin im Krisenmodus.

Händler im Kreuzfeuer der Kritik

Öffentlichkeitswirksam ruft PeTA dazu auf, die Fischhaltung im Supermarkt zu beenden, und macht den Markt zum Aufhänger für eine eigene Kampagne. Dieses Beispiel ist nur eines von vielen, die zeigen, wie schnell Hersteller und Händler ins Kreuzfeuer der Kritik geraten können.

Weitere Beispiele sind schnell gefunden, man muss nur einmal den Namen eines beliebigen Lebensmittelhändlers in Verbindung mit dem Stichwort „Kritik“ in die Suchmaschine eingeben: Empörung über Sexismus in der Rewe-Filiale (Junge Mitarbeiterin mit Schild „Ich bin mindestens genauso frisch und knackig wie unser Obst und Gemüse“) oder Anzüglichkeiten zum Vatertag bei Edeka (Junge Frau mit zwei Ananas vor der Brust: „Die geilsten Dinger gibt’s bei uns“).

Die wenigsten Unternehmen kommunizieren auf diese Weise, weil sie provozieren wollen und den Aufschrei der Empörung bewusst einkalkulieren.
Auch dafür gibt es Beispiele – wie den Smoothie-Hersteller True Fruits oder den Autovermieter Sixt. Meist ist es eher so, dass die Bestürzung groß ist, wenn Kritik geäußert wird, und sich das Unternehmen zu einer Entschuldigung durchringt.
Es muss doch jemanden geben, der schon mal gehört hat, wie sensibel der Umgang mit Themen wie Sexualität, Politik, Religion oder Rassismus ist.
 
Das geschieht nicht zuletzt dann, wenn die Krise ihren Weg von den digitalen in die klassischen Medien findet. Die genannten Beispiele wurden von Lokalmedien aufgegriffen und auf diese Weise einer noch größeren Öffentlichkeit bekannt.

Was man aus Krisen lernen kann

Was können Händler und Hersteller aus solchen kommunikativen Krisen lernen?

Dazu drei Gedanken:

1. Die Voraussetzungen schaffen, um schnell zu handeln

Nur wer weiß, was über ihn geschrieben wird, kann entsprechend agieren.
Das bedeutet: Die eigenen Kanäle und Themen sowie die Aktivitäten der Kritiker im Blick zu behalten, ist unverzichtbar für die Kommunikation – nicht nur in der Krise. Ein gutes Online-Monitoring macht es möglich, eine drohende Welle der Kritik schneller zu erkennen und zu stoppen.
Über den Autor
Christian Wolfram berät seit 15 Jahren Unternehmen aus der Lebensmittelbranche in allen Fragen der internen und externen Kommunikation. Der frühere Journalist gehört bei Engel & Zimmermann dem Leitungsteam der Unit Food an. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen hier die Beratung im Krisenfall ebenso wie die strategische Beratung bei der Unternehmenskommunikation. Besonderes Augenmerk liegt auf der Ansprache der unterschiedlichen Zielgruppen wie dem Handel, Verbrauchern, NGOs, der Politik und Medien. Als inhabergeführte Unternehmensberatung für Kommunikation berät und betreut Engel & Zimmermann dauerhaft rund 60 Kunden. Ein Schwerpunkt liegt auf der Beratung von Unternehmen aus der Lebensmittelbranche.

Und wenn man für seine potenziellen Issues entsprechende Schubladenpapiere vorbereitet hat, gewinnt man ebenfalls wertvolle Zeit. Die richtige Reaktion ist immer von der jeweiligen Situation abhängig. Aber wenn sich ein negativer Kommentar erst einmal zu einem Shitstorm entwickelt hat, ist es ganz schwer, die Krise wieder in den Griff zu bekommen.

2. Die gesellschaftliche Relevanz von Themen nicht leugnen

Arme Händler, fiese Kritiker!
Auch ich ertappe mich selbst immer wieder dabei, wie ich die Mechanismen der Sozialen Medien und die Skandalisierung der Branche durch umtriebige NGOs und Medien beklage.

Doch seien wir mal ehrlich: Haben sich die Marketing-Verantwortlichen der beiden oben genannten Handelsunternehmen ernsthaft darüber gewundert, dass sie für diese Art von Werbung kritisiert werden?
Oder Nivea für den Claim „White is Purity“?
Oder der Modehändler Zara für seine „dreifarbigen Sklavensandalen“?

Natürlich ist es hinterher immer leicht zu sagen: „Das war doch klar!“ Andererseits sind viele kommunikative Krisen eindeutig hausgemacht und zeugen von mangelndem Fingerspitzengefühl. Es muss doch heutzutage selbst in der kleinsten Marketingabteilung jemanden geben, der schon mal etwas von „MeToo“ gehört hat oder davon, wie sensibel der Umgang mit Themen wie Sexualität, Politik, Religion oder Rassismus ist.

3. Vier Augen sehen mehr als zwei

Das führt zum dritten Punkt: Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Da schadet es nicht, einen neutralen Dritten für einen kritischen Blick zu involvieren, am besten jemanden, der ein Gespür für Krisenkommunikation besitzt. Wir hätten schon bei dem einen oder anderen Kunden eine Krise vermeiden können, wenn wir im Vorfeld in die Marketing- oder Social-Media-Aktivitäten eingebunden worden wären.
Deswegen schadet es beispielsweise nicht, vorab einen Blick in den Redaktionsplan für Facebook zu werfen oder das Motiv für die neue Anzeige einmal einer anderen Abteilung zu zeigen.

In Zukunft wird die Notwendigkeit einer sensiblen Kommunikation weiter zunehmen. Unternehmen sollten sich dessen bewusst sein, wenn sie nicht ohne Not in eine selbst verschuldete Krise schlittern wollen.

LZdirekt.de veröffentlicht in loser Folge Gastbeiträge von Branchenexperten zu Themen rund um den POS und den Lebensmittelhandel.

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