Kolbrücks Kracher: Von Spitzenköchen lernen: ...
Kolbrücks Kracher

Von Spitzenköchen lernen: Geschichten statt Speisen verkaufen

Gaborturcsi/Shutterstock
Kochlegende Paul Bocuse.
Kochlegende Paul Bocuse.

Von Spitzenköchen können sich Supermärkte einiges abschauen. Dabei sind einige, wenige Aspekte ganz zentral, wenn man im Supermarkt nichts anbrennen lassen will.

In meinem Kochbuch von Paul Bocuse, einem der Wegbereiter der französischen Sterne-Küche und einer der besten Köche des 20. Jahrhunderts, las ich einst einen Tipp, den ich immer als sehr tröstlich empfunden habe.  Gute Zutaten solle man nehmen. Das sei das wichtigste.
Da müsse man dann gar nicht mal so gut kochen können - wenn man nichts anbrennen lässt.

Nun habe ich aus dem Bocuse-Buch kaum mehr als zwei Gerichte (unter anderem Rührei) nachgekocht, aber der Tipp ist sehr gut.  

In die gleiche Richtung geht übrigens ein Merksatz von Julia Child. Sie war in den 60er Jahren eine bekannte US-TV-Köchin. "Man muss keine ausgefallenen oder komplizierten Meisterwerke kochen - nur gutes Essen aus frischen Zutaten“, schreibt sie in einem ihrer Kochbücher.

Ein Satz, den man so auch auf Supermärkte übertragen kann. Denn auch dort braucht es gar nicht einmal ausgefallene Artikel, hippe Influencer-Produkte oder jede Menge technisches Bling-Bling und komplizierte Angebote.

Frische und gute Zutaten sollten reichen. Dann klappt das auch mit dem Sterne-Supermarkt.

Die wichtigste Zutat dafür: die Bedientheke.

Sie braucht nicht unbedingt mehr Platz, aber mehr Vielfalt, mehr kompetente Beratung und – ja, auch das - mehr Personal.
Doch gerade an diesen Zutaten mangelt es häufig. Das aber treibt dann zahlungsfreudige Genusskunden, die über die Inflation nicht allzu sehr seufzen, in die Arme des Fachhandels.

Viel zu selten sind daher noch, beispielsweise bei Käse, Bedientheken, die mit Auswahl und individuellen Frischkäsesorten punkten können.

Dabei sorgt gerade derlei für die Differenzierung zum SB-Sortiment wie auch zu den Wettbewerbern. Denn Genuss und Kompetenz lässt sich auch über das schönste Facing im Regal nur begrenzt zeigen.

In Zeiten von wachsendem Zuspruch für Lieferdienste ist aber nicht nur Sortimentstiefe und Spezialisierung gefragt. Die Theke voll machen reicht nämlich nicht aus.  

Geschichten machen Marge

Es kommt mehr denn je auf die sympathische und fachkundige Thekenkraft an. Sie ist im Sinne von Paul Bocuse und Julia Child die entscheidende Zutat für die Gelinggarantie.

Denn eine Thekenkraft verkauft nicht nur das Produkt. Sie liefert eine weitere Zutat, indem sie Geschichten zur Ware erzählt, von der handwerklichen Leistung, von der Herkunft, von der Tradition der Ware berichtet.
Denn letztlich kauft der Kunde nicht nur Ware, er kauft vor allem auch gerne die Geschichte dazu, lässt sich gerne von Aroma, Reifegrad, von der Herstellung, dem Futter und Kuhstall erzählen. Und dafür kann man dann, anders als für den Gouda, der vom Allerweltsbahnhof angerollt kam, auch höhere Preise von einer kaufkräftigen Kundenklientel verlangen.

Sie halten diese Idee vom „Geschichten erzählen“, vom „Storytelling“ für neumodisches Werbe-Bla? Dann hier meine Hausaufgabe: Kochen Sie Ihren Lieben mal am Wochenende Rührei nach einem Bocuse-Rezept und präsentieren es mit entsprechenden Hinweisen. Vergleichen sie dann die Reaktionen zum üblichen Sonntagsrührei.

Die kurzen Hypes der TikTok-Kunden

Hier aber nun eine unbequeme Wahrheit, die auch ein Bocuse so nicht erwähnt: Frische und gute Zutaten kosten. Das gilt auch an der Theke. Und dort erst recht: Denn eine versierte Thekenkraft sollte möglichst nicht Käse-, Fleisch- und Wursttheke gleichzeitig bedienen.
Wer das nicht tut, der verschenkt Potenzial, lässt Wertschöpfung links liegen.

Viele der hippen Influencer-Produkte funktionieren übrigens nach einem ähnlichen Prinzip. Dort sind die Zutaten die frischen neuen Gesichter und die Star-Story. Anders als bei Instagram-Brausen, die gerne mal mit 20 bis 30 Prozent Spanne locken, sind in der Theke mit Spezialitäten locker 40 Prozent und mehr möglich. Und anders als bei den kurzen Hypes der TikTok-Kunden, kann man hier langfristig wiederkehrenden Mehrwert erwirtschaften.

Sie sind noch nicht überzeugt?
Dann habe ich noch eine Julia-Child-Weisheit für Sie: "Zu viel Aufwand", "Zu teuer" oder "Wer kennt schon den Unterschied" sind die Todesurteile für einen Supermarkt."

Also fast.

Richtig lautet das Zitat natürlich: "Zu viel Aufwand", "Zu teuer" oder "Wer kennt schon den Unterschied" sind die Todesurteile für gutes Essen."

Kolbrücks Kracher gibt es exklusiv jeden Donnerstag auf LZdirekt.de.



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