Mit etwas Glück benehmen sich Kunden in diesen verqueren Zeiten nur etwas kindischer als sonst. Deutlich häufiger aber ist der Wut-Kunde. Das hinterlässt Spuren.
Ich bin sicher: Eine Studie würde bestätigen, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Handel längst jeden Tag erfahren: Die Menschen sind in den vergangenen Jahren wütender geworden. Fast scheint es, dass manche Kunden, vor allem jene, die beim Hinweis auf die Maskenpflicht zum
HB-Männchen werden, mit sich, ihren Gefühlen und dem Rest der Welt im Kriegszustand sind.
Man kann es auf die Pandemie schieben, auf das Elternhaus, auf den Charakter, mit dem vielleicht immer schon etwas nicht stimmte, auf das Wetter oder meinetwegen auch auf das Internet. Bei Amazon und Alexa muss schließlich keiner mehr „Bitte“ sagen, wenn er etwas haben möchte.
Der Online-Kunde verliert nicht nur die Erfahrung des Umgangs mit echten Menschen. Er hat auch die Vorstellung, er könne alles bekommen, was er wolle, sobald er es wolle. Und
statt „Danke“ reicht ein Klick. Und so hat auch der Mitarbeiter im Markt zu funktionieren. Auf „Klick“.
Unfreundlichkeit fast schon Normalität
Fest steht, die Nerven liegen reihenweise so blank, dass
Kundenerlebnisse wie dieses fast schon Normalität sind:
Ein Kunde steht kurz nach der Geschäftsöffnung am Regal, erzählt da eine Mitarbeiterin in einer Facebook-Gruppe:
Während sie noch die Regale mit der gerade eingetrudelten Lieferung füllt, fragt ein Kunde nach einem Käse. „Ich füll gerade erst auf“ sagt sie und bietet dem Kunden an, das Produkt auf einem der Rollis zu suchen.
Fehlanzeige. Sie findet es erstmal nicht, sagt es höflich dem Kunden.
Der
poltert und zetert prompt und ausführlich.
Da hat die Mitarbeiterin noch Glück gehabt, dass der Kunde nicht gleich persönlich beleidigend wurde. Auch das gibt es oft genug.
Erlebnisse wie diese sind nämlich Alltag. Derlei Geschichten hört man ähnlich immer öfter aus der ganzen Republik. Kunden, die ausrasten, wenn die gewünschten Produkte nicht verfügbar sind. Kunden, die absurde Umtauschforderungen haben. Kunden, die hysterisch auf Kleinigkeiten reagieren. Langjährge Mitarbeiterinnen im Handel sagen, es habe inflationär zugenommen.
Und wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Lebensmittelhandel daher derzeit vermehrt über
Kündigung nachdenken, dann in erster Linie nicht wegen der Arbeitsbedingungen, oder wegen des Lohns, sondern wegen der Kunden. Denn die verlieren eben immer häufiger nicht nur die gute Kinderstube, sondern gleich die Kontrolle.
Frustrierte Mitarbeiter
In den Facebook-Gruppen hissen daher viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die weiße Fahne – und bleiben dann trotzdem und wehren sich nicht.
Denn für jeden Beschäftigten im Einzelhandel der gehe, gebe es „mindestens zehn Leute als Ersatz, die neu eingestellt werden können“, sagt Maurike Maaßen, engagiertes Ver.di-Mitglied und seit Jahrzehnten
Kassiererin in einem Essener Supermarkt, in einem
hörenswerten Interview im Deutschlandfunk.
Eigentlich dürften die Teams im Markt, Führungskräfte inklusive, ohnehin längst nicht mehr nur nach dem
Handelstarif bezahlt werden. Zeit und Nerven werden schließlich für neue Aufgaben gebraucht, weil alle ja quasi unentgeltlich als Therapeut, Psychologe, Life-Coach und Sicherheitskraft arbeiten und selbst in skurrilen Situationen den Überblick behalten müssen.
Angesichts all des Geschreis, den Ausrastern und Drohungen erwarten diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter inzwischen nicht einmal mehr allzu viel Höflichkeit oder gar Nettigkeiten. Mit ein bisschen
Respekt wäre man wohl schon zufrieden.
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