TV-Sender entdecken Reportagen über Supermärkte mehr denn je als quotenträchtiges Sendeformat. Manche Kaufleute haben da Hemmungen. Doch die Präsenz kann von Vorteil sein, meint Kommunikationsexperte Christian Wolfram in einem Gastbeitrag und gibt Tipps, wie man TV-Anfragen für sich nutzt und Schaden vermeidet.
Das Ergebnis: Beiträge zwischen fünf und zehn Minuten Länge, vollkommen unkritisch, positiv und zur besten Sendezeit (Donnerstag, 20:15 Uhr) auf einem der beliebtesten Sender in Deutschland.
Der Pferdefuß, der häufig bei öffentlich-rechtlichen Sendern mit einem solchen Dreh verbunden ist, dass nämlich Unternehmen und Marke nicht zu werblich in Erscheinung treten dürfen, existierte hier nicht.
Kostenlose PR inklusive
Im Gegenteil: Die Unternehmen, die der Produktionsfirma die Türen öffneten, wurden mit kostenloser PR belohnt, die sie in Form von Werbung wohl kaum hätten zahlen können.
Einer der Helden der
RTL-Sendung, in der sich alles um Ostern drehte, war
Edeka-Händler Michael Rees aus Freiburg, über dessen Erfahrungen mit dem Dreh auch
an dieser Stelle schon berichtet wurde.
Mehr dazu
Was war denn da los, Herr Rees?
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Ich habe Herrn Rees nicht beraten, daher kann ich als Außenstehender nur den Hut ziehen vor seiner Entscheidung, bei der Reportage mitzumachen. Er hat bereitwillig Auskunft darüber gegeben, welche
Investitionssumme hinter einer solchen Markteröffnung steckt, hat das Team am chaotischen Eröffnungstag hinter die Kulissen ins unaufgeräumte Lager schauen lassen und in der Hochphase der Vorbereitungen auf der Baustelle bereitwillig vor der Kamera Auskunft gegeben.
Respekt!
Angst vor unerwünschten Bildern
Wir haben im Kundenkreis einige Hersteller, die für "Inside Supermarkt" angefragt wurden. Die wenigsten haben mitgemacht.
Christian Wolfram
berät seit 15 Jahren Unternehmen aus der Lebensmittelbranche in allen Fragen der internen und externen Kommunikation. Der frühere Journalist gehört bei
Engel & Zimmermann dem Leitungsteam der Unit Food an. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen hier die Beratung im Krisenfall ebenso wie die strategische Beratung bei der Unternehmenskommunikation. Besonderes Augenmerk liegt auf der Ansprache der unterschiedlichen Zielgruppen wie dem Handel, Verbrauchern, NGOs, der Politik und Medien.
Als inhabergeführte Unternehmensberatung für Kommunikation berät und betreut Engel & Zimmermann dauerhaft rund 60 Kunden. Ein Schwerpunkt liegt auf der Beratung von Unternehmen aus der Lebensmittelbranche.
Die
Sorgen vor kritischer Tonalität, vor unerwünschten Bildern aus dem sensiblen Produktionsbereich oder vor dem enormen Aufwand eines Drehtages haben sie – nicht ohne Grund – abgeschreckt.
Im Falle derjenigen Hersteller und Händler, die mitgemacht haben, kann man nur sagen: Der Mut wurde belohnt!
Szenenwechsel: Vier Tage später, Montagabend, gleiche Zeit. Im NDR läuft eine Doku über „Zuckerbomben für Kinder – Süße Verführung mit schlimmen Folgen“. Man muss kein Kenner solcher Formate sein, um schon am Titel abzulesen, dass dieser Beitrag
keine Freude für Lebensmittelhersteller und -händler ist.
Wer hier eine Drehgenehmigung gibt und sich vor die Kamera stellt, den kann man nur bemitleiden.
Das Traurige: Die Mehrzahl der TV-Beiträge über die Lebensmittelbranche pustet ins gleiche Horn. Das hat unsere
Auswertung für das Jahr 2022 ergeben, die wir jüngst veröffentlicht haben. Der Handel kommt dabei einmal mehr besonders schlecht weg: Über keine Teilbranche, nicht mal die viel gescholtene Fleischbranche, wird so viel Negatives berichtet wie über den Handel.
Zwei Fälle, völlig unterschiedliche Bewertung. Was können Händler daraus lernen und wie können sie sich bei solchen Drehanfragen verhalten, um Schaden zu vermeiden und die Chance auf positive Berichterstattung zu nutzen?
Dazu drei Tipps:
1. Medien und Formate kennenDie Chance, als Unternehmen der Lebensmittelbranche bei einer Anfrage von NDR Markt, PlusMinus oder ZDFzeit auf die Hörner genommen zu werden, ist ziemlich groß. Galileo hingegen genießt in den meisten Pressestellen einen guten Ruf. Welche Sender eher investigativ und kritisch berichten, ist kein Geheimnis. Wissen sollte man es aber dennoch. Da hilft mitunter auch, die Produktionsfirmen zu kennen, die für die einschlägigen Verbraucherformate Beiträge produzieren.
2. Chancen und Risiken abwägenWir helfen unseren Kunden dabei, solche Anfragen einzuschätzen. Es gibt immer Hinweise, die es ermöglichen, das kritische Potenzial einer Anfrage zu bewerten. Ging die Anfrage nur an ein Unternehmen oder an viele? Dreht es sich konkret um meine Produkte oder um eine Produktgattung? Werden konkrete Vorwürfe gegen mein Unternehmen formuliert? Möchte das Team in meinem Markt drehen oder kann ich schriftlich antworten? Mit der Beantwortung dieser Fragen kann man das Krisenpotenzial besser einschätzen. Eine hundertprozentige Garantie gibt es jedoch nie. So sagte mir beispielsweise der Redakteur, der für die RTL-Doku einen meiner Kunden anfragte, dass er in friedlicher Absicht komme, aber möglicherweise irgendwann einmal auch für einen kritischen Beitrag über das gleiche Unternehmen bei mir vorstellig werde.
3. Mutig sein„Soll ich’s wirklich machen – oder lass ich’s lieber sein?“ kommentierte eine Kundin von mir auf LinkedIn ihre Gedanken, die sie bei der Abwägung hatte, ob sie bei der RTL-Doku mitmachen soll oder nicht. Sie hat sich, anders als die Band „Fettes Brot“ 1996 nicht für „Jein“ entschieden, sondern für „Ja“.
Und auch wenn der Beitrag über ihr Unternehmen am Ende deutlich kürzer ausfiel als erhofft, sind wir der Meinung, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Großer Aufwand, einen Geschäftsführer für mehrere Stunden geblockt…
Aber bei der Vorstellung, ein Wettbewerber hätte anstelle ihres Unternehmens diese Aufmerksamkeit bekommen, war es das definitiv wert. Das werden sich sicherlich auch so manche in den Kommunikationsabteilungen der großen Handelsunternehmen und Discounter gedacht haben, als sie Edeka-Kaufmann Rees auf RTL bei der Markteröffnung zugesehen haben.
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