Nachhaltigkeit schreibt sich auch der Lebensmittelhandel gerne auf die Fahnen. Doch bei der Kommunikation gibt es Fallstricke. Vor allem bei den Aussagen zu Klimaneutralität. In einem Gastbeitrag sagt Christian Wolfram von der Unternehmensberatung Engel & Zimmermann worauf es zu achten gilt.
Eine ganze Reihe Unternehmen aus der Lebensmittelbranche bekam in diesem Frühjahr unliebsame Post. Der Absender: die Wettbewerbszentrale, die sich als „Selbstkontrollinstitution der gesamten Wirtschaft“ bezeichnet, „mit der Aufgabe, den Wettbewerb im Interesse der Allgemeinheit zu schützen.“ Alle angeschriebenen Unternehmen – aus Handel und Industrie – eint eines: Sie verwenden im Zusammenhang mit der Kommunikation ihrer Nachhaltigkeits- und Klimaschutzbemühungen den Begriff der „Klimaneutralität“ – auf dem Produkt, in Anzeigen oder auf anderen Kommunikationskanälen.
Christian Wolfram
berät seit 15 Jahren Unternehmen aus der Lebensmittelbranche in allen Fragen der internen und externen Kommunikation. Der frühere Journalist gehört bei
Engel & Zimmermann dem Leitungsteam der Unit Food an. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen hier die Beratung im Krisenfall ebenso wie die strategische Beratung bei der Unternehmenskommunikation. Besonderes Augenmerk liegt auf der Ansprache der unterschiedlichen Zielgruppen wie dem Handel, Verbrauchern, NGOs, der Politik und Medien.
Als inhabergeführte Unternehmensberatung für Kommunikation berät und betreut Engel & Zimmermann dauerhaft rund 60 Kunden. Ein Schwerpunkt liegt auf der Beratung von Unternehmen aus der Lebensmittelbranche.
Der Vorwurf der Wettbewerbszentrale, verbunden mit einer
Abmahnung: Aussagen wie „klimaneutrales Produkt“ seien irreführend, denn es werde „der Eindruck erweckt, dass die Klimaneutralität zu 100 % durch emissionsvermeidende bzw. emissionsreduzierende Maßnahmen erreicht wird“. In Wirklichkeit jedoch stelle die Klimaneutralität „lediglich ein rechnerisches Ergebnis dar, das durch den Kauf von CO₂-Ausgleichszertifikaten erreicht wird.“
Nun sei einmal dahingestellt, was ein Verbraucher mit der Aussage „klimaneutrales Premium-Heizöl“ anfangen soll. Der von der Wettbewerbszentrale erhobene
Vorwurf des „Greenwashings“ scheint in diesem Fall jedenfalls nicht vollkommen aus der Luft gegriffen. Zur besseren Glaubwürdigkeit trägt auch nicht wirklich bei, dass es keine einheitliche Kennzeichnung für klimaneutrale Produkte gibt und manche Unternehmen sogar mit „klimapositiven“ oder CO2-negativen Produkten werben.
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"Jegliches unternehmerisches Handeln erzeugt erst einmal CO2, wie gering auch immer die Menge sei."
Christian Wolfram
Andererseits weiß jeder, der sich auch nur im Ansatz mit Klimabilanzierung beschäftigt hat, dass jegliches unternehmerisches Handeln erst einmal CO2 erzeugt, wie gering auch immer die Menge sei. Die Kompensation klimaschädlicher Emissionen ist daher ein unerlässlicher Bestandteil auf dem Weg zur Klimaneutralität – natürlich immer nachgelagert zu einer Vermeidungs- und Reduktionsstrategie. Ob Umweltbundesamt, EU- oder Bundespolitik: Unstrittig ist, dass Klimaneutralität aus dem Dreiklang von Berechnung, Reduktion und Ausgleich von CO2-Emissionen entsteht.
Das Dilemma der Klimaneutralität
Das Dilemma der Industrie: Klimaneutralität ist ein komplexes Thema, das jede Menge kommunikativer Fallstricke mit sich bringt. Und viele Medien machen sich nicht die Mühe, den komplexen Sachverhalt sauber aufzuarbeiten. So können eine öffentlich gemachte Abmahnung oder eine negative Veröffentlichung das mühsam aufgebaute Image eines Unternehmens in Sachen Nachhaltigkeit in kurzer Zeit beschädigen.
Und damit nicht genug: Aus Anfragen in unserem Kundenkreis wissen wir, dass eine große deutsche
Verbraucherschutzorganisation gerade an einer Kampagne zum gleichen Thema arbeitet. Recherche-Anfragen bei mehreren Unternehmen liegen bereits vor. Wenn man sich die bisherigen Kampagnen dieser Organisation anschaut, ist es nur eine Frage der Zeit, bis das Thema eine neue Dimension der öffentlichen Wahrnehmung erlangt – mit deutlich kritischerem Ton und weitaus mehr medialer Aufmerksamkeit.
Und mit einigen prominenten Namen, die stellvertretend für eine ganze Branche zur Zielscheibe werden könnten.
Für Unternehmen stellt sich die Frage, wie sie mit ihren
Aussagen zu Klimaneutralität und möglicher Kritik daran umgehen sollen. Aus kommunikativer Sicht helfen wir unseren Kunden dabei und haben drei wesentliche Empfehlungen:
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1) Glaubwürdig handeln – und dann glaubwürdig kommunizieren.
Leider gibt es immer noch genug Unternehmen, denen die schnelle Kommunikation einer werbewirksamen Aussage wichtiger ist als die Substanz dahinter. Unser Rat: Die Basis muss eine Nachhaltigkeitsstrategie bilden, zu der das Unternehmen kontinuierlich kommunizieren sollte. So stellen Sie von Anfang an glaubhaft und anhand nachweisbarer Fakten unter Beweis, dass Sie es mit dem Klimaschutz ernst meinen. Außerdem genießen Sie gegenüber ihren Anspruchsgruppen einen Vertrauensvorschuss.
2) Die kommunikativen Hausaufgaben machen.
Nachhaltigkeit im Allgemeinen und Klimaneutralität im Speziellen erfordern eine gründliche Kommunikation. Formulieren Sie Ihre wesentlichen Themen, ihre Ziele und Erfolge und bereiten Sie sie sauber auf. Dies ist übrigens auch der erste Schritt der Krisenprävention: Erarbeiten Sie ein Q&A mit Pain Points – also den Antworten auf Vorwürfe, mit denen Sie möglicherweise konfrontiert werden.
3) Die relevanten Zielgruppen kennen.
Immer wieder hören wir, dass Unternehmen sich schwer damit tun, ihre Nachhaltigkeitsbemühungen (und damit auch mögliche Preisargumente) gegenüber einer ihrer wichtigsten Zielgruppen zu kommunizieren: dem Handel. Dabei ist der Handel durchaus offen für gute Konzepte. Auch hier gilt es, die wesentlichen Botschaften herauszuarbeiten und die richtigen Kanäle zu finden, um sie den Zielgruppen entsprechend zu präsentieren.
LZdirekt.de veröffentlicht in loser Folge Gastbeiträge von Branchenexperten zu Themen rund um den POS und den Lebensmittelhandel.