Helden werden verehrt. Sie haben Fans. Die sind loyal und bilden eine Einheit. Können auch Supermärkte Helden sein? Vielleicht ein bisschen so wie Winnetou? Ja. Gerade jetzt.
Winnetou. Apachen-Häuptling. Den hätten als Kind viele gerne als Bruder oder Freund gehabt.
Aufrecht. Edel. Ein Mensch mit einer Mission. Sam Hawkens war sogar bereit, für Winnetou sein Leben zu geben.
Manch ein Erwachsener legt sich heute noch Taschentücher bereit, wenn er mit dem eigenen Nachwuchs „Winnetou 3“ schaut. So verbunden ist man mit der Figur.
Sam Hawkens würde übrigens bei Edeka einkaufen. Was an einem unfairen Standortvorteil liegen mag, wie wir gleich sehen werden. Vielleicht kauft „Old Shatterhand“ dafür zum Ausgleich bei Rewe, Globus oder Tegut ein.
Aber wie wird man zu einem Winnetou des Handels? Und muss man das überhaupt?
Man muss.
Die Erwartungen der Kunden an den Lebensmittelhandel haben sich während der Pandemie nämlich radikal verändert. Online-Nutzung und Abholservices haben den Blick für die Unterschiede geschärft.
Einkaufen mit Anfassen hat seinen Reiz. Doch Tomaten persönlich abzuholen, kann nicht mit der Einfachheit und Bequemlichkeit des Online-Einkaufs mithalten. Und wer hat schon wirklich Spaß am Einkauf, wenn man eine Maske trägt? Der Geruchssinn ist abgestumpft, die Brille beschlagen, die Sicht neblig, man hat es eilig und „Wohlfühlatmosphäre“ klingt wie ein Versprechen aus dem vorigen Jahrhundert.
Dazu kommt: Kunden haben gelernt, schnell und rational einzukaufen. Der Einkaufszettel diktiert den Weg. Wie soll der Verbraucher da neue Produkte entdecken, vor dem Regal stehen und mit seiner Vorstellungskraft Rezeptideen entwickeln? Denkt da nur einer beim Weg durch die Gänge an Goethe: „Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön!“?
Vermutlich nicht.
Ich habe Zweifel.
Wer sich wirklich unterscheiden will, wer Kunden will, die auch in unbequemen Zeiten loyal sind und auch bei anderen schillernden Angeboten noch treu bleiben, muss etwas bieten, dass man so weder kaufen, noch kopieren kann und Helden wie Winnetou ausmacht: Werte.
Pepsi oder Coca-Cola, Apple oder Microsoft, Nike oder Adidas – das ist nicht nur eine Frage von Qualität und Preis. Es ist auch eine Frage der Überzeugung und der Werte.
Sie zeigen, wer wir sind und zu wem wir gehören. Sie bilden eine Gemeinschaft.
Mit ihrem Engagement am Ort, mit Werbung und Aktionen in Vereinen haben Kaufleute schon immer die lokale Karte gespielt. Die hat noch mal Schwung bekommen, weil die Mitarbeiter im Supermarkt in den vergangenen Monaten so etwas wie ein gesellschaftliches Rückgrat waren. Sie arbeiteten an der Frontlinie und waren das schlagende Herz der Gemeinde, der Anker vor Ort in all dem Durcheinander, ein Leuchtturm, den man auch noch mit beschlagender Brille sehen kann.
Sie sind lokal greifbar und einfach da, als Teil der täglichen Routine.
Das hat schon etwas vom Geist von „Winnetou“: Aufrecht. Verlässlich.
Aber wie bekommt man dieses ätherische Gefühl in die Wirklichkeit der Regale? Wie drückt man seine Zugehörigkeit aus, damit sie jeder im Markt sehen und erleben kann? Wie stellt man Gemeinschaft dar? Man kann schließlich nicht eine rituelle Blutsbrüderschaft wie bei Winnetou und Old Shatterhand zelebrieren.
Zwei ganz unterschiedliche Beispiel zeigen, wie das funktionieren kann.
Das eine hat, natürlich, mit Winnetou zu tun und sorgt für Schlagzeilen.
Solch eine Identifikation kann man sogar günstiger bewerkstelligen. In Weener in Ostfriesland, wo Otto und H.P.Baxter (Scooter) nur begrenzt als Kultfigur taugen, hat Edeka (Tim Berge, Filialleiter) neu eröffnet. Da gibt es nun zwar auch smarte Einkaufswagen, doch „wat besünners“ ist der Markt, weil die Sortimente in Plattdeutsch beworben werden und auch die Mitarbeiter Platt sprechen. Sogar bei Facebook wird platt geschnackt. „Heimatpflege“ nennen es die Lokalmedien.
Dabei ist es viel mehr.
Es ist nämlich im Kern genau das, was Verbundenheit ausmacht. Diese Märkte geben eine Antwort auf die Frage, die in diesen unsicheren Zeiten unausgesprochen im Raum steht: „Wo gehöre ich hin?“. Zwar wird Ware verkauft, aber - ganz im Sinne Winnetous - Identifikation und Gemeinschaft gelebt.